Interview

Massnahmen gegen Töfflärm - Interview mit Nationalrätin Gabriela Suter

SP-Nationalrätin Gabriela Suter (AG)

Bald ist es wieder so weit. Kaum gehen im späten Frühling die Pässe auf, brausen die Motorräder einzeln oder in Horden heran. Damit ist es endgültig aus mit der Winterruhe in den Bergen. Nicht wenige Töfffahrer versuchen, aus ihrem Motor das Maximum herauszuholen, der Lärm schallt hinauf bis zu den Gipfeln. Und es dröhnt durch die betroffenen Dörfer. Die Aargauer SP-Nationalrätin Gabriela Suter hat das Thema mit zwei Vorstössen aufgegriffen. An der letztjährigen Mitgliederversammlung der Urner Sektion des Verkehrs-Clubs der Schweiz (VCS) hätte sie darüber berichten sollen. Da die Versammlung wegen Corona nicht abgehalten werden konnte, haben wir Gabriela Suter um ein Interview gebeten.

Frau Suter, Sie haben im Nationalrat zwei Vorstösse eingereicht, die sich mit dem Verkehrslärm und insbesondere mit dem Lärm von Motorrädern befassen. Was hat Sie dazu veranlasst, dieses Thema aufzugreifen?

Die Lärmbelastung durch Auto- und Motorradlärm hat in den letzten Jahren stark zugenommen – nicht nur entlang der Passstrassen, sondern auch in den Städten. Lärm macht krank. Während des Lockdowns im letzten Frühling haben mir mehrere Personen geschrieben und mich gebeten, gegen die Lärmbelastung vorzugehen. Sie haben mir geschildert, dass sie insbesondere wegen den vielen Töffgruppen, die bei schönem Wetter unterwegs sind, ihren Balkon nicht mehr benutzen können, und dass sie sich nicht mehr richtig erholen können.

Der Kanton Uri mit fünf Alpenpässen ist ein beliebtes Eldorado für Töfffahrer und darum stark betroffen. Haben Sie auch den Urner CVP-Nationalrat Simon Stadler um Unterstützung angefragt? Er fehlt auf der Liste der MitunterzeichnerInnen.

Nein, mit Simon Stadler hatte ich bisher nicht Kontakt, es würde mich aber natürlich sehr freuen, wenn er meine Vorstösse unterstützen würde!

Der Urner Regierungsrat hat 2017 in der Antwort auf eine Interpellation (LA.2017-0656) ausgeführt:

Gemäss den Ausführungen sind die gesetzlichen Möglichkeiten und die zur Verfügung stehenden Werkzeuge ausreichend, um gegen überlaute Motorfahrzeuge vorzugehen. Durch die technische Fahrzeugprüfung und die polizeiliche Kontrolltätigkeit werden die gesetzlichen Vorgaben vollzogen. Zusätzliche Massnahmen drängen sich aus Sicht des Regierungsrats nicht auf.

Sie teilen diese Auffassung nicht?

Nein, überhaupt nicht. Klar, die Kantonalpolizeien machen Lärmkontrollen, aber diese Kontrollen sind sehr aufwändig und können deshalb nur punktuell durchgeführt werden. Die Polizei hat für mehr Kontrollen nicht die nötigen Ressourcen. Die Reaktionen aus der Bevölkerung und der Politik geben mir recht: Die Waadtländer Regierung unterstützt meine beiden parlamentarischen Initiativen offiziell, und die Umweltkommission des Nationalrats hat eine Kommissionsmotion beschlossen, die meine beiden Anliegen – Lärmblitzer und Fahrverbote für besonders laute Fahrzeuge – aufnimmt. Diese Motion kommt nächste Woche im Nationalrat zur Abstimmung. Wenn sie durchkommt und auch der Ständerat Ja sagt, muss der Bundesrat ein Massnahmenpaket ausarbeiten, damit übermässige Lärmemissionen im Strassenverkehr einfacher und stärker sanktioniert werden können.

In einer parlamentarischen Initiative fordern Sie gesetzliche Grundlagen für den Einsatz von Lärmradargeräten, sogenannten «Lärmblitzern». Genügen die Lärmschutzverordnung und das Strassenverkehrsrecht nicht?

Lärmblitzer könnten die Polizei wesentlich entlasten. Sie funktionieren analog den Geschwindigkeitsradaren – das Fahrzeug, das zu laut ist, wird geblitzt und gebüsst.

Gibt es denn überhaupt praxistaugliche «Lärmblitzer», die mit vertretbarem Aufwand eingesetzt werden können?

In Frankreich sind bereits Lärmblitzer im Einsatz, allerdings wird auch dort noch nicht gebüsst. In der Schweiz sind verschiedene Firmen daran, Lärmblitzer zu entwickeln. Ein Genfer Startup und die ETH Lausanne haben vor kurzem entsprechende Forschungsgelder erhalten und rechnen mit einer kommerziellen Version ihres Geräts im 2023. In mehreren Kantonen sind bereits Lärmdisplays im Einsatz, die den Vorbeifahrenden signalisieren, ob sie zu laut fahren.

In der zweiten parlamentarischen Initiative verlangen Sie ein Fahrverbot für Motorräder mit einem Standpegel von über 95 Dezibel. Kann die Schweiz solche Fahrzeuge überhaupt autonom verbieten?

Ja, laut Aussagen des Bundesamts für Umwelt wäre ein solches Verbot EU-konform umsetzbar. Es würde nicht gegen das Landverkehrsabkommen verstossen.

Das österreichische Bundesland Tirol hat auch mit eigenen Regeln versucht, den LKW-Transitverkehr einzudämmen und ist mehrmals am Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gescheitert. Ist die Beschränkung für Motorräder vom EuGH beurteilt worden? Oder gibt es bislang keinen Kläger?

Soweit ich weiss, sind in Tirol verschiedene Klagen eingereicht worden, die Verfahren sind aber noch am Laufen. Der dortige Projektleiter hat mir die Auskunft gegeben, dass das Tiroler Fahrverbot für sehr laute Motorräder gesetzeskonform und EU-rechtlich möglich sei.

Wie gross ist denn heute der Anteil der Motorräder, die diesen Pegel überschreiten?

In Österreich haben knapp 7% der zugelassenen Motorräder ein Standgeräusch von über 95 Dezibel. In der Schweiz rechnet der TCS mit maximal 10% betroffenen Töffs.

Kann durch das angestrebte Verbot für sehr laute Motorräder die Lärmbelastung wahrnehmbar reduziert werden? Gibt es dazu Erfahrungszahlen aus dem Tirol?

Ja, davon bin ich überzeugt. Das Standgeräusch gibt das Lärmpotenzial eines Motorrads an: So laut kann es heulen, wenn es hochtourig, z.B. beim Beschleunigen nach einer Kurve, gefahren wird. Das Fahrverbot ist eine sehr pragmatische und einfach umsetzbare Lösung. Denn die 7% lautesten Motorräder machen 50% der gesamten Lärmemissionen aus. Die ersten Rückmeldungen zum Fahrverbot in Tirol sind positiv – von den Anwohnern, aber auch von Seiten der Gastronomie und Hotellerie, die ja deswegen einen Umsatzrückgang befürchtet hatten. Momentan wird das Pilotprojekt detailliert evaluiert, die Ergebnisse werden in den nächsten Monaten veröffentlicht. Ich erhoffe mir davon auch Erkenntnisse für die Schweiz. Das Fahrverbot in Tirol bezieht sich nur auf einige Strecken. Es besteht also die Gefahr, dass sich der Lärm einfach auf andere Strecken verlagert. Deshalb fordere ich ein solches Fahrverbot flächendeckend für die ganze Schweiz.

Auf dem Markt werden heute auch elektrische Motorräder angeboten, die von Natur aus viel leiser sind. Sollte man nicht eher alle Motorräder mit Verbrennungsmotor auf besonders beliebten Töffrouten verbieten?

So weit würde ich nicht gehen. Aber ja: Wenn mehr E-Motorräder und weniger Benziner auf der Strasse fahren würden, würde dies sicher zu mehr Ruhe beitragen. Hier wären die Hersteller und Motorradverbände gefordert, bei ihren Mitgliedern einen Umstieg zu propagieren. Und es gibt ja auch leise Möglichkeiten, die Bergwelt und die Passstrassen zu geniessen: zu Fuss oder mit dem (Elektro-)Velo.

Jeden Sommer werden mehrere Opfer von Motorradunfällen auf Urner Passtrassen ins Kantonsspital geflogen. Sie sprechen die oft zu hohen Geschwindigkeiten, die einen grossen Teil des Lärms verursachen, in Ihren Vorstössen nicht an. Warum?

Wir haben heute bereits die gesetzlichen Grundlagen, um Fahrzeughalter, die zu schnell fahren, zu büssen. Beim Lärm hingegen sind diese unzureichend.

 

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